Erst war er “Senkrechtstarter”, dann ein “Komet der Szene”, dann “deutsches Jazz-Wunder”. Dann wurde sein Spiel als “großer europäischer Jazz” gelobt, anschließend als “Weltklasse”, und neulich haben sie ein Konzert von ihm mit dem “Köln Concert” von Keith Jarrett verglichen. Das ist kurz vor der Ewigkeit. Der Mann ist knapp über 30. Und ziemlich unbeeindruckt:
“Es bringt nicht viel, Vorschusslorbeeren anzuhäufen”, sagt er, “es geht doch immer nur um den Moment, in dem man spielt.”
Von allen Seiten wird er dafür beglückt bestaunt, von Klassik-Freunden, Jazz-Enthusiasten, der Indie-Szene: “Für mich”, sagt er, “war Klavierspielen immer schon beides, Improvisation und Mozart spielen.” Wollny ist mit Bach und Björk zusammen aufgewachsen, mit Schubert und Keith Jarrett, mit Ligeti und Messiaen. Er schöpft seine Musik aus der Tradition wie aus der Gegenwart, aus der Tonalität wie aus dem Klang, dem repetitiven Geräusch. Die Genres, sagt der Neu-Berliner, “werden immer offener: Jazz, Alternative, Independent durchdringen sich immer mehr.” Und dann wieder so ein Satz:
“Das Schöne ist, dass man als Musiker jeden Abend von Null beginnt.”
Null heißt bei ihm: dass er dem ersten Stück, das er spielt, den Namen der Stadt gibt, in der er spielt. Er wird sich an den Flügel setzen, und dann wird sich hören lassen, wie Bochum neu geschaffen wird. Wie eine Stadt gespielt und neu gehört werden kann. “Nichts ist sicher bei einem Solokonzert von Michael Wollny“, schrieb der Kritiker der WELT.
Nichts ist vorgegeben, ohne sich verändern zu können. Wollny kann Stimmungen schaffen wie kein anderer. Stimmungen, von denen man nicht wusste, dass man sie empfinden könnte. Er kann durch die Tasten pflügen, dass man nicht nachkommt mit dem Hören, und er kann ebenso — das ist die Größe seiner Kunst — Pausen kreieren, die so voll sind mit Musik, dass er selber in die Pause gehen könnte, man säße immer noch da und hörte dem zu, was er nicht spielt.
Er setzt nicht auf Geschwindigkeit und aggressive Vertracktheit, er setzt die Stille in ihr Recht. Das vor allem sind dann die Momente, in denen die eigene Fantasie ins Spiel einsteigt und Wollny Fantasien folgt. “Hexentanz”, seine erste Solo-CD, hatte Wollny eingespielt, nachdem er sich auf die Nebel-Insel Gotland zurückgezogen hatte, wo er zusammen mit Franz Schubert, Steve Reich und Björk gelebt hat, mit Edgar Allen Poe, Ken Russell und David Lynch. Das Ergebnis: eine dunkle, warme Romantik, durchscheinende Fantasien, eine leise und gefährliche Stimmung, die sich beklemmend weiten und schroff umschlagen kann. “Gothic Music”, nennt er es verschmitzt und spielt auf die Gothic Novel an, auf Frankenstein & Co. Er spielt mit den Genres und ihren Klischees, er veralbert sie nie, er nimmt das Spielen ernst.
Das ist der Grund, warum sich Wollnys Musik wie ein Hörbuch hören lässt. Dass man das Gefühl hat, man werde hinein geschoben in eine Welt, die eine “Wunderkammer” ist — so der Titel der großartigen CD, die er mit der israelischen Cembalistin Tamar Halperin einge-spielt hat.
Wollnys Wunderkammer in Bochum wird der urban urtyp Kubus sein. Der Raum im Raum, der immer eigens aufgebaut wird: Der Flügel in der Mitte, die Hörer dicht um ihn herum. So wie bei Hauschka, hier die Fotos. Dass auch Wollny, der hochsubventionierte Häuser füllt, als urban urtyp nach Bochum kommt, hat übrigens damit zu tun, dass ihm im Mai 2010 in Bochum der ECHO Jazz verliehen wurde und er sich zuvor mit Céline Rudolph — auch sie als ECHO-Jazz-Preisträgerin geehrt und mehrfach in der Christuskirche zu Gast gewesen — eben hier verabredet hatte, um Grönemeyers “Mensch” einzustudieren.
Ihre Interpretation des Monumentalsongs (u.a. mit Frederik Köster, auch so ein urban urtyp in spe) schloss die TV-Aufzeichnung der Preisverleihung ab: Auf der Seite www.ruhr-essentials.de findet sich eine exklusive Filmaufzeichnung von Wollny & Céline mit Grönemeyers “Mensch” am Flügel im Altarraum …
… und als wir Wollny während der Aufzeichnung fragten, ob er eben hier als urban urtyp spielen wolle, sagte er ohne Zögern zu. Er ist dieser seltene Typ von Musiker, der sein Publikum finden und nicht vorfinden will.
» 29. Januar — wie immer sonntags, wie immer 19 Uhr, wie immer 10 Euro
» Tickets hier
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» Was die RN dazu meinen: 2012-01-18 rn FlorianKuehlem