Ambient Assisted Living

Neon

Neon­röhre 1980 im Ori­ent. Ex ori­ente …

Oliv­er Schulthoff — Advanced Liv­ing #15  | Ist es wirk­lich so, dass der Men­sch im Alter in sein­er bish­eri­gen Umge­bung verbleiben will, bis dass er endgültig in die Nacht hin­aus­ge­ht? Diese Umge­bung hat schließlich mehr zu bieten als die Nacht, zum Beispiel Wasser­abflitsch­er in der Duschk­abine oder im Bad, Baus­parver­trag, Bun­desliga­maskottchen und Hausstaub. Wohinge­gen die Nacht nicht Konkretes anbi­etet, nur Seel­igkeit, Glück, Rausch und Rebel­lion.

Die Nacht ermöglicht zunächst den Gedanken über das Leben und bietet erst danach die endgültige Stille. Und in dieser Stille wird man kaum Wur­fzelte wer­fen oder an selb­stauf­blasenden Matratzen horchen. Natür­lich erlebt man mitunter, dass einem das Gequatsche vom Tag am Abend vor dem Ein­schlafen zuviel wird. Alle reden auf Dich ein, alle wollen sie dir sagen, was sie so machen oder was sie von dir erwarten, dass du es machst. Fliesen­bo­den, Rau­faser­tapete, Aufhören zu denken. Dieses all­ge­meine Gequake führt directe­ment zu den Lebens­fra­gen: Möchte man da leben, wo eine Par­ty stat­tfind­et, zu der man nicht ein­ge­laden ist, oder da, wo man selb­st eine Par­ty ver­anstal­tet, zu der kein­er kommt? Möchte man in Ruhe leben oder da, wo das Leben tobt, wo die Sonne durch den Regen scheint und sich das Wet­ter der Klei­dung anpasst oder will man ein aus­geglich­enes Leben führen, ein biss­chen Palo­ma, ein biss­chen Aro­ma, ein biss­chen Chichi. Oder nur Chi?

Für den Fall, dass es mal wieder zu laut wird, hat die Men­schheit etwas gegen Quatschlärm entwick­elt: es gibt die Evo­lu­tion, die durch Denken befeuert wird. Zuk­lapp­bare Ohren gegen zu viele Worte sind Ergeb­nis dieses Denkens unter Zeit­druck. Noch mal schlafen bevor die Nacht kommt, ist evo­lu­tionär­er Anspruch. Nach Gen­er­a­tio­nen mit offe­nen Ohren sprangen jet­zt die Gene wild durch die Gegend und haben bei einzel­nen Mit­gliedern der Men­schheit beschlossen, mit den angewach­se­nen Ohrläp­pchen einen umk­lapp­baren Ohrver­schluss zu schaf­fen, 100mal wirk­samer als jed­er Ohrstöpsel.

Das war auch ger­ade rechtzeit­ig, denn die immer lauter wer­dende Unter­hal­tung der Men­schheit nimmt mitunter skur­rile For­men an, wenn Jahr für Jahr eine andere Schweine‑, Hüh­n­er oder Gurk­endurch­fall­grippe das Kom­man­do übern­immt. Wenn das Gegen­wart und Zukun­ft sein soll, na dann, danke schön- Es ist aber nur die Zukun­ft des Tages, nicht der Nacht. Und was man auch bedenken sollte: das ist nur der helle Tag, der durch das Fernse­hen am Abend simuliert wird. Man sitzt im Dunkeln und denkt: Guck mal, da am Tag ster­ben die Men­schen.

Hier­aus zu fol­gern dass Ambi­ent Assist­ed Liv­ing in Wirk­lichkeit nur tagsüber existiert ist nicht ganz abwegig. Genau genom­men sieht man es abends im Dunkeln nicht mehr, man spürt nur noch, dass sich der Herz­schlag an die dun­kler wer­dende Umge­bung anpasst. Das liegt auch an dem Codein, welch­es in den Tanzschup­pen nachts aus­gegeben wird.

Guten Tag, gute Nachtlieder:

Ulrich Tukur Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da
Made­laine Pey­roux Everybody’s Talk­ing
Heiko Laux Every Thought Is Evo­lu­tion
K‑H (Terre Thaem­litz) Infect­ed
Dis­codein Syn­chro­nize