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Der Mann, der den SPIEGEL geknackt hat, heißt in Wahrheit Günter (ohne h). Wir haben ihn gefunden. Er sagt: „Ich war ganz oben.“ | Eine Reprotage vom urban urtyp-Autorenkollektiv
Ein perfekter Sturm auf dem Meer beginnt meistens, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen: Die Wassertemperatur spielt eine Rolle, die Verteilung von Hoch- und Tiefdruckgebieten, und es braucht einen Braumeister. In den Morgenstunden des Donnerstags vergangener Woche wird klar, wer dieser Braumeister ist. Wer den Sturm angerührt hat, der über den SPIEGEL hereingebrochen ist: Wir haben den Mann gefunden, der “Claas Rotelius” war.
Tagelang hatten wir recherchiert, sind über Felsen geklettert und durch verdorrtes Gras gelaufen, vorbei an Tannenbäumen, die wie riesige Mittelfinger in der Landschaft stehen, vorbei an einem mannshohen Stein, darauf steht: „Ende vom Land“, und auf der anderen Seite: „Düsseldorfer raus“. Hier, in einem Ort namens Köln, hat sich Claas Rulatius versteckt. Die kleine Stadt ist typisch für das ländliche Rheinland, das Henriette Reker zur Bürgermeisterin machte. Wir besorgen uns ein Ticket für 141 € nach Köln, Nordrhein-Westfalen. Wir fahren dahin, wo sie sonntags für Henriette beten. Die Stadt zählt drei Kirchen, zwei Karnevalsklubs und eine Hauptstraße, die sich kilometerlang zwischen heruntergekommenen Flachbauten hinzieht. Der Bus rollt langsam über die Straße durch die Nacht. Neben uns, auf einem Platz vorne rechts, sitzt Gayle Gladdis, sie will ihren Namen partout nicht nennen, mit leiser Stimme und schwäbischem Akzent sagt sie:
„Auf langen Fahrten wird mir oft übel.“
Sie presst ihre Fäuste auf ihrem Schoß gegeneinander, so fest, dass ihre Fingerknochen weiß hervortreten. Der Bus passiert den Rhein. Gladdis sieht die Leuchtreklamen von Tankstellen vorbeiziehen. Wir sehen sie auch, wir sind ja nicht blind. Wer als Reporter nach Köln reist, kann Claas Roletios nicht sehen, nicht sprechen. Aber es gibt einen Menschen, der Claas Ralotius eine Stimme gibt. Der seine Stimme ist. Wir stehen vor seinem Haus, einem heruntergekommenen Flachbau, was sonst. Auf dem Klingelschild zwei Buchstaben, sie sind verschnörkelt: „C“. Und dann: „R“. Ein Hinweis? Wir klingeln.
Schritte, die Tür geht auf. Vor uns ein bescheidener Mensch, hoch aufgeschossen, zurückhaltend höflich, aufmerksam, ein wenig zu ernst vielleicht. Insgesamt der Typ, dessen Maskenbildner man gratulieren möchte zu der gelungenen Kopie eines SPIEGEL-Reporters. Er stellt sich uns als Günter vor,
„Günter ohne h“.
Sorgsam verriegelt er die Tür, dreht den Schlüssel dreimal um, dann geht er einen menschenleeren Flur entlang, leise singt er ein Lied. Pink Floyd, „The Wall“. Raffen wir das jetzt? Er steigt mit uns 15 Stufen in den Keller hinab, dort unten steht seine Eisenbahn, es ist eine Märklin HO im Maßstab 1:87, er baut seit Jahren daran. Dort unten lernen wir Rene (44) kennen, er leitet ein Büro, über Günter sagt er:
„Die Eisenbahn ist ein Modell für sein Leben.“
Wir gehen in die Küche. Bei Günter setzt man sich nicht an die gedeckte Tafel und wartet, alle müssen was tun: Der eine putzt die Pilze, der andere die Bohnen, der dritte wäscht den Salat. Zu diesem Arbeitsessen gibt es ein Arbeitsweinchen. Natürlich hat Günter alles sorgfältig vorbereitet, natürlich steht die Menüfolge fest; aber es entsteht alles gemeinsam. Jeder hat seinen Prantl seinen Part, jeder hat was zu schnippeln, zu siedeln und zu kochen, jeder hat etwas zu reden: Es geht um die Nudel, die Küchenrolle und um die Welt.
Nach dem Essen lehnt sich Günter zurück. Jetzt redet er. Er schließt die Augen. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Er öffnet die Augen, kurz nippt er am Glas. Er schließt die Augen, er genießt den edlen Tropfen. Er öffnet die Augen, er schaut uns an, er sagt:
„Ich war Claas.“
Er schließt die Augen. Er holt tief Luft. Er presst seine Fäuste, wir pressen unsere. Er schaut uns an, wir schauen zurück. Er holt tief Luft, wir halten sie an. Er hält lange inne, wie einer, der die Wahrheit kennt, aber sie nicht auszusprechen wagt. Es passt alles. Das Alter, die Mimik, der Bart. Sagen, was ist:
„Ich war Claas Rolatius. Ich war ganz oben. Ich habe den SPIEGEL geknackt.“
Es stimmt alles. Am Ende seiner Karriere kommen sich Glanz und Elend im Leben des Günter (ohne h) ganz nah: Er war ganz unten, er war ganz oben, jetzt sitzt er hier. Er schließt die Augen und beginnt zu erzählen. Er erzählt emotional, es ist ein Sog. Aber so mitreißend er auch erzählt, er enthält sich jeder Wertung. Seine Karriere ist von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz. In seiner Gegenwart zieht sich die Gegenwart zusammen. Große Linien werden fassbar, schlagartig wird das Große menschlich. Nie lässt er offen, auf welchen Quellen seine Kunst basiert. Das Arbeitsweinchen beispielsweise war ein 2015er Spätburgunder, Kaiserstuhl. Aus der Gegend stammt auch Gayle, die geheimnisvolle Frau im Bus. Fügt sich hier etwas zusammen? Immer wieder findet Günter Mittel, Zusammenhänge zu stiften, Verbindungen zu knüpfen, immer gejagt von der Angst vor Entdeckung. Jetzt schenkt er sich reinen Wein ein, es ist das siebte Glas. Seine Stimme ist fest, seine Augen klar. Er schließt die Augen:
„Es geht nicht um das nächste große Ding, es geht ums Scheitern.“
Das endgültige Scheitern? Deutschlands? Ist das der Auftrag? Günter schweigt. Wie einer, der die Wahrheit kennt. Er öffnet die Augen. Seine Mutter sagt: „Er hat die Augen geöffnet.“ Sein Blick schweift in die Ferne, er fixiert eine Wand, an ihr hängt ein Spiegel, eine Spiegelqualitätswand. In einem Spiegel kann man sich selber erkennen. Raffiniert. Wir folgen seinem Blick. Er bleibt an einem Bild hängen, es ist in einen Holzrahmen gespannt, das Holz ist am Rande einer Kleinstadt in Niedersachsen gewachsen. Das Bild zeigt einen perfekten Sturm auf dem Meer, mehrere Faktoren kommen zusammen: Das Wasser ist blau, die Wellen sind hoch, das Schiff geht unter. Durch die peitschende Gischt hindurch kann man den Namen des Schiffes erahnen: … A.H. ? Nein: A.N. und dann … I.C. ?
„Ich will den Namen nicht in der Titanic lesen.“
Günter schaut tief ins Glas, es ist aus Kristall. Er sieht uns wissend in die Augen, er nickt uns zu wie ein Vertrauter: Ist das sein nächstes großes Ding? Er schließt die Augen, er lächelt versonnen:
“Ich war Heribert.”