Ich war Claas”

Titan­ic mit Ente by Den­nis Jarvis (cc)

Hin­weis: Diese Repro­tage ste­ht unter dem Ver­dacht weit­ge­hen­der Fälschun­gen und Manip­u­la­tio­nen. Wir haben sie rot markiert. Selb­st wenn alle Sätze zutr­e­f­fend zitiert sind, sind sie gespickt mit Erdachtem. Wir lassen die Repro­tage so lange online, bis alle Sätze rot markiert sind. Wir bit­ten um Hin­weise.


Der Mann, der den SPIEGEL gek­nackt hat, heißt in Wahrheit Gün­ter (ohne h). Wir haben ihn gefun­den. Er sagt: „Ich war ganz oben.“ |  Eine Repro­tage vom urban urtyp-Autorenkollek­tiv

Ein per­fek­ter Sturm auf dem Meer begin­nt meis­tens, wenn mehrere Fak­toren zusam­menkom­men: Die Wassertem­per­atur spielt eine Rolle, die Verteilung von Hoch- und Tief­druck­ge­bi­eten, und es braucht einen Braumeis­ter. In den Mor­gen­stun­den des Don­ner­stags ver­gan­gener Woche wird klar, wer dieser Braumeis­ter ist. Wer den Sturm angerührt hat, der über den SPIEGEL hereinge­brochen ist: Wir haben den Mann gefun­den, der “Claas Rotelius” war.

Tage­lang hat­ten wir recher­chiert, sind über Felsen gek­let­tert und durch ver­dor­rtes Gras gelaufen, vor­bei an Tan­nen­bäu­men, die wie riesige Mit­telfin­ger in der Land­schaft ste­hen, vor­bei an einem mannshohen Stein, darauf ste­ht: „Ende vom Land“, und auf der anderen Seite: „Düs­sel­dor­fer raus“. Hier, in einem Ort namens Köln, hat sich Claas Rulatius ver­steckt. Die kleine Stadt ist typ­isch für das ländliche Rhein­land, das Hen­ri­ette Rek­er zur Bürg­er­meis­terin machte. Wir besor­gen uns ein Tick­et für 141 € nach Köln, Nor­drhein-West­falen. Wir fahren dahin, wo sie son­ntags für Hen­ri­ette beten. Die Stadt zählt drei Kirchen, zwei Karneval­sklubs und eine Haupt­straße, die sich kilo­me­ter­lang zwis­chen herun­tergekomme­nen Flach­baut­en hinzieht. Der Bus rollt langsam über die Straße durch die Nacht. Neben uns, auf einem Platz vorne rechts, sitzt Gayle Glad­dis, sie will ihren Namen partout nicht nen­nen, mit leis­er Stimme und schwäbis­chem Akzent sagt sie:

Auf lan­gen Fahrten wird mir oft übel.“

Sie presst ihre Fäuste auf ihrem Schoß gegeneinan­der, so fest, dass ihre Fin­ger­knochen weiß her­vortreten. Der Bus passiert den Rhein. Glad­dis sieht die Leuchtrekla­men von Tankstellen vor­beiziehen. Wir sehen sie auch, wir sind ja nicht blind. Wer als Reporter nach Köln reist, kann Claas Role­tios nicht sehen, nicht sprechen. Aber es gibt einen Men­schen, der Claas Ralotius eine Stimme gibt. Der seine Stimme ist. Wir ste­hen vor seinem Haus, einem herun­tergekomme­nen Flach­bau, was son­st. Auf dem Klin­gelschild zwei Buch­staben, sie sind ver­schnörkelt: „C“. Und dann: „R“. Ein Hin­weis? Wir klin­geln.

Schritte, die Tür geht auf. Vor uns ein beschei­den­er Men­sch, hoch aufgeschossen, zurück­hal­tend höflich, aufmerk­sam, ein wenig zu ernst vielle­icht. Ins­ge­samt der Typ, dessen Masken­bild­ner man grat­ulieren möchte zu der gelun­genen Kopie eines SPIEGEL-Reporters. Er stellt sich uns als Gün­ter vor,

Gün­ter ohne h“.

Sorgsam ver­riegelt er die Tür, dreht den Schlüs­sel dreimal um, dann geht er einen men­schen­leeren Flur ent­lang, leise singt er ein Lied. Pink Floyd, „The Wall“. Raf­fen wir das jet­zt? Er steigt mit uns 15 Stufen in den Keller hinab, dort unten ste­ht seine Eisen­bahn, es ist eine Märklin HO im Maßstab 1:87, er baut seit Jahren daran. Dort unten ler­nen wir Rene (44) ken­nen, er leit­et ein Büro, über Gün­ter sagt er:

Die Eisen­bahn ist ein Mod­ell für sein Leben.“

Wir gehen in die Küche. Bei Gün­ter set­zt man sich nicht an die gedeck­te Tafel und wartet, alle müssen was tun: Der eine putzt die Pilze, der andere die Bohnen, der dritte wäscht den Salat. Zu diesem Arbeit­sessen gibt es ein Arbeitsweinchen. Natür­lich hat Gün­ter alles sorgfältig vor­bere­it­et, natür­lich ste­ht die Menü­folge fest; aber es entste­ht alles gemein­sam. Jed­er hat seinen Prantl seinen Part, jed­er hat was zu schnip­peln, zu siedeln und zu kochen, jed­er hat etwas zu reden: Es geht um die Nudel, die Küchen­rolle und um die Welt.

Nach dem Essen lehnt sich Gün­ter zurück. Jet­zt redet er. Er schließt die Augen. Ein Lächeln umspielt seine Mund­winkel. Er öffnet die Augen, kurz nippt er am Glas. Er schließt die Augen, er genießt den edlen Tropfen. Er öffnet die Augen, er schaut uns an, er sagt:

Ich war Claas.“

Er schließt die Augen. Er holt tief Luft. Er presst seine Fäuste, wir pressen unsere. Er schaut uns an, wir schauen zurück. Er holt tief Luft, wir hal­ten sie an. Er hält lange inne, wie ein­er, der die Wahrheit ken­nt, aber sie nicht auszus­prechen wagt. Es passt alles. Das Alter, die Mimik, der Bart. Sagen, was ist:

Ich war Claas Rolatius. Ich war ganz oben. Ich habe den SPIEGEL gek­nackt.“

Es stimmt alles. Am Ende sein­er Kar­riere kom­men sich Glanz und Elend im Leben des Gün­ter (ohne h) ganz nah: Er war ganz unten, er war ganz oben, jet­zt sitzt er hier. Er schließt die Augen und begin­nt zu erzählen. Er erzählt emo­tion­al, es ist ein Sog. Aber so mitreißend er auch erzählt, er enthält sich jed­er Wer­tung. Seine Kar­riere ist von beispiel­los­er Leichtigkeit, Dichte und Rel­e­vanz. In  sein­er Gegen­wart zieht sich die Gegen­wart zusam­men. Große Lin­ien wer­den fass­bar, schla­gar­tig wird das Große men­schlich. Nie lässt er offen, auf welchen Quellen seine Kun­st basiert. Das Arbeitsweinchen beispiel­sweise war ein 2015er Spät­bur­gun­der, Kaiser­stuhl. Aus der Gegend stammt auch Gayle, die geheimnisvolle Frau im Bus. Fügt sich hier etwas zusam­men? Immer wieder find­et Gün­ter Mit­tel, Zusam­men­hänge zu stiften, Verbindun­gen zu knüpfen, immer gejagt von der Angst vor Ent­deck­ung. Jet­zt schenkt er sich reinen Wein ein, es ist das siebte Glas. Seine Stimme ist fest, seine Augen klar. Er schließt die Augen:

Es geht nicht um das näch­ste große Ding, es geht ums Scheit­ern.“

Das endgültige Scheit­ern? Deutsch­lands? Ist das der Auf­trag? Gün­ter schweigt. Wie ein­er, der die Wahrheit ken­nt. Er öffnet die Augen. Seine Mut­ter sagt: „Er hat die Augen geöffnet.“ Sein Blick schweift in die Ferne, er fix­iert eine Wand, an ihr hängt ein Spiegel, eine Spiegelqual­itätswand. In einem Spiegel kann man sich sel­ber erken­nen. Raf­finiert. Wir fol­gen seinem Blick. Er bleibt an einem Bild hän­gen, es ist in einen Holzrah­men ges­pan­nt, das Holz ist am Rande ein­er Kle­in­stadt in Nieder­sach­sen gewach­sen. Das Bild zeigt einen per­fek­ten Sturm auf dem Meer, mehrere Fak­toren kom­men zusam­men: Das Wass­er ist blau, die Wellen sind hoch, das Schiff geht unter. Durch die peitschende Gis­cht hin­durch kann man den Namen des Schiffes erah­nen:  … A.H. ? Nein: A.N. und dann … I.C. ?

Ich will den Namen nicht in der Titan­ic lesen.“

Gün­ter schaut tief ins Glas, es ist aus Kristall. Er sieht uns wis­send in die Augen, er nickt uns zu wie ein Ver­trauter: Ist das sein näch­stes großes Ding? Er schließt die Augen, er lächelt ver­son­nen:

Ich war Herib­ert.”