Freitag 15. November // Klassische Musik, dachte man so, sei zugeknöpft. Alle Knöpfe perlmuttbelegt, das Leben durchlitten. Techno, dachte man weiter, sei schweißtreibend, die Körper entblößt, das Leben ein Rausch. Dann kamen BBF, seitdem ist Techno Klassik und die Klassik berauscht. Brandt Brauer Frick. Streng wie Kraftwerk, alle Körper kontrolliert, aber dann … ! So etwa war das, als die drei — alle klassisch gebildet, Paul Frick hat 8 Jahre Komposition studiert — vor 10 Jahren im Berghain auf die Bühne traten und just dem Techno beibogen, was es mit dem Körper auf sich hat, dem eigenen: dass er nicht nur dazu taugt, sich von Musik bewegen zu lassen, sondern selber Musik zu machen. Techno, klassisch erzeugt. Seitdem gibt es eine Affäre zwischen Techno und klassischer Musik. Mit allem, was dazu gehört,
es gibt furchtbare Missverständnisse — DJs, die sich von symphonischen Orchestern hofieren lassen wie von einem Küchenkabinett; symphonische Orchester, die „Crossover“ spielen, als hätten sie den Allradantrieb entdeckt usw. Es gibt aber auch, und das ist viel wichtiger, lebenslang wilde Ehen: Elektro Guzzi führen so eine, sie haben Techno und Klassik ebenso vermählt und waren damit bei uns genau so wie Roedelius & Kasar, wie Coma und Gregor Schwellenbach und Emika und Komfortrauschen und LBT …
Und dann gibt es eben BBF. Die Institution. Daniel Brandt, Jan Brauer, Paul Frick. Seit 10 Jahren verfolgen sie — mit ihren eigenen Worten — die Idee,
„dass Menschen Musik spielen könnten wie Maschinen, aber doch die Seele von Instrumenten in sich tragen, die über Jahrhunderte entwickelt wurden”.
Die Ahnen dieser Idee sind: Steve Reich und Philip Glass, Großmeister der Minimal Art. Natürlich haben auch BBF nicht bei null begonnen, der Minimal-Techno von Ricardo Villalobos ließe sich hier genauso nennen. Mit ihrem ersten Album, „You Make Me Real“, machen BBF ihre Idee weltweit bekannt, das Video zu „Bob“ etwa — alle drei treten darin zugeknöpft auf bis obenhin — hat Kanye West schwer begeistert. Es folgen Live-Auftritte auf den wirklich großen Festivals wie Coachella und Mutek, sie beginnen, ihre Musik für ein 10köpfiges Ensemble zu arrangieren mit Geigen und Harfe und Klavier — und was passiert? Es ist noch immer Techno, immer noch klassisch inspiriert.
Und sie experimentieren weiter, arbeiten sich an den Postpunk heran und ua mit Gudrun Gut zusammen, arbeiten sich in die Theater- und Medienwelt hinein, arbeiten sich aber nicht in den Kommerz hinein, sondern halten fest an der Idee, dass Maschinen — durch uns Menschen hindurch — beseelt werden können, weil Menschen — durch die Maschinen hindurch — eine Seele in sich entdecken. Die sie mit anderen teilen wollen.
Und jetzt kehren BBF zu eben diesen Anfängen zurück, zur Trio-Formation. Ihr neues Album heißt ECHO, es spiegelt die letzten Jahre, Jan Brandt:
„Natürlich haben wir Know-how gewonnen. Als wir anfingen, hatten wir nur ein Mikro und ein kaputtes Klavier.“
Beim ersten Hören wird sofort klar: Auch ECHO ist definitiv für den Club gemacht, ist zugänglich, cool, ein „heiterer Minimalismus“, wie sie es nennen. Und es wird ebenso klar: ECHO ist definitiv für eine konzentrierte Audience gemacht, diese Musik braucht ein konzertantes Setting, ihr Minimalismus baut auf einer Rhythmik auf, die heiter zu hören ist und hoch kompliziert.
Und die Seele?
Sie sind auf der Suche wie immer, Seele ist ja nichts, was man in Händen hält, sondern immer wieder finden kann. „Als ob das Licht mit der Dunkelheit kämpfe“, so beschreiben es Leute, die das Album vorab in toto gehört haben. Beschreiben eine Energie, die eine „inescapable restlessness“ in sich berge und dennoch „festival-ready“ sei. Und es stimmt, BBF hat an Dringlichkeit gewonnen, an Ernsthaftigkeit, an Intensität, es gibt ja nun auch genügend Gründe in der Welt, intensive Gefühle zu entwickeln, intensive Angstgefühle. Was Techno und Klassik gemeinsam haben, ist, dass sie solche Gefühle einander verbinden können, euphorische Bejahung und panische Flucht. Ja zur Welt, Nein zu ihrem Untergang. Was BBF ausschließt, ist die Weltflucht, Paul Frick beschreibt solche Musik so:
“A lot of neoclassical music to me feels like it’s meant to be a retreat from our stressful lives, so here’s some nice arpeggios.”
Mit ein paar harmonischen Dekonstruktionen ist nichts getan, Frick weiter:
“We’d rather integrate that anxiety than try to forget about it. We don’t make music that will help you get away from all your problems. It’s more about trying to funnel the aggressions in everyday life into a more positive thing.”
Anstatt die Angst vergessen zu machen, gehe es darum, sie in Musik aufzunehmen, weil Musik nicht dazu diene, Problemen zu entkommen, sondern Aggressionen zu verwandeln … Mal ehrlich, wen gibt es noch in welchem Genre, die einen solchen Anspruch an die eigene Musik formulierten? Im klassischen Betrieb? In der Techno-Zone? Es hat Sinn, die Klassik mit dem Techno zu vermählen.
Brandt Brauer Frick | Echo
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» Freitag 15. November 2019 | 20 Uhr
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