#28 Hidden Orchestra und die Geschmacksverstärkerei

Hidden Orchestra by Jemima Thewes
Joe Ache­son ist Kopf des Hid­den Orches­tra, Joe schreibt Film­musiken. Oli ist Kopf der Geschmacksver­stäk­erei, Oli schreibt Textfilme. Den Textfilm gibt es jet­zt hier, die Musik dazu am 7. April:

Der Schreck­en zu wis­sen, wie diese Welt funk­tion­iert, führt zu mas­siv­en weit­eren Prob­le­men. Dabei ist der klärende Gehirn­mech­a­nis­mus doch so ein­fach und schließlich sind wir darauf trainiert, die Welt zu vere­in­fachen: es gibt nur Tulpen und Narzis­sen. Im Keller mit bei­den einges­per­rt heißt es häu­fig: ja oder nein, ter­tium non datur. Oder doch? Was sind wir selb­st, wenn wir, sagen wir mal, etwas unter Druck ger­at­en, außer­halb des Kellers? Blume oder Nicht­blume? Ja, es gibt eine Sit­u­a­tion außer­halb des Kellers, man ver­gisst es bei einem lan­gen, dun­klen Win­ter nur manch­mal. Sind wir Men­schen wirk­lich außer­halb der Asphalt, der die Blu­men zudeckt, sind wir nicht natür­lich, sind wir anor­gan­isch? Unter Druck seien wir ganz wir selb­st. Egal ob auf der Straße, unter der Straße, im Keller oder daneben. Blüh­blume natür­lich nur, wenn man wirk­lich etwas daneben ist, etwas ver­rückt qua­si, Lach­blume oder Wein­blume. Und die wollen nach einem lan­gen, dun­klen Win­ter her­aus.

Machen wir es doch mal anders und verkom­plizieren zur Abwech­slung das mit dem Blühen und Verge­hen. Die Schnittstelle zwis­chen Jahreszeit­en und Blu­men wird gemein­hin nicht genau erkan­nt. Vielfach wird sie auch verkan­nt und auf die Jahreszeit der Schnit­tblu­men bezo­gen. Der Früh­ling kommt, die Tulpen und Narzis­sen kom­men, um zu blühen, das scheint man zu sehen. Dabei sind sie das ganze Jahr unterirdisch vorhan­den. Blu­men sind mehr als die Summe ihrer Blüten. Tat­säch­lich! Manch­mal ver­faulen ihre Zwiebeln zwar im Herb­st und im Win­ter, wenn es da unten zu nass wird. Im Früh­jahr drückt die sich zusam­men­ziehende Erd­krume die über­leben­den Blu­men aus ihrem kalten, feucht­en Schoß und gebiert aus diesem Keller die buntesten Far­ben. Graue Blu­men sind jeden­falls bis­lang nicht bekan­nt.

Auch nicht immer ist es bekan­nt, wie man selb­st reagiert, wenn man zum allerersten Mal einem grauen Men­schen begeg­net. Angenom­men man ist völ­lig auf blühende Natur eingestellt und freut sich an der Stille, die nur durch Sonne oder Regen ergänzt wird. Wird man sich dann genau­so ver­hal­ten, wie wenn man sich in einem Beton- und Glasklotz neuer­ster Men­schen­machart trifft? Manche denken, wenn sie im Regen ste­hen, dass dies Wind sei und sie freuen sich über die Wärme des Regens als ob es Son­nen­schein wäre. Das hat man dann davon, dass das Gehirn des Men­schen – sind er und es allein gelassen – in selt­same Gespräche mit dem Restkör­p­er ver­fällt. Das Gehirn regt sich dann unter Umstän­den sog­ar über den bru­tal­en Used-Look bei beton­far­be­nen Ostereiern auf.

Empirische Forschung ist unent­behrlich, um die tief­er­en Ursachen für dieses Denken zu erken­nen. Warum entschei­det sich der Men­sch nicht gle­ichzeit­ig für Beton und Blu­men und warum glaubt er gle­ichzeit­ig an Sonne und Regen? Es ist zum verzweifeln, dass es die Men­schheit bis­lang nicht geschafft hat, für diese wichti­gen Fra­gen Forschungsres­sourcen zur Ver­fü­gung zu stellen. Viel lieber versinkt sie in Vul­gär­nat­u­ral­is­mus oder Audio­be­tonekel. Wahrschein­lich nicht uner­he­blichen Anteil hier­an haben Kom­mu­nika­tion­sprob­leme des allein gelasse­nen Men­schen. Zuviel Smalltalk hat er gel­ernt und quas­selt so vor sich hin, schriftlich oder mündlich natür­lich. Dem Men­schen ist es jedoch nicht egal, ob er Andere trifft oder nicht, er erzählt immer was anderes, weil er immer anderes sieht oder zu sehen glaubt.

Man müsste also viel mehr Sit­u­a­tio­nen erforschen, in denen der Men­sch nicht exis­tent ist oder alleine durch die Natur wan­delt. Wir brauchen Zeug­warte für fliegende Druck­er­far­men von Com­put­ern, die bei zu viel Wind und Regen gerne mal zu Boden abstürzen und Med­i­ta­tion­sun­ter­richt für die Evo­lu­tion der selb­st­getäuscht­en übri­gen Men­schen. Schulen für sie sollen aus dem Früh­lings­bo­den sprießen und diese bun­ten Ideen ver­bre­it­en. Nur durch Vor­leben ler­nen wir Vor­lieben. Die Natur kann es uns zeigen, wie es geht. Hochin­tel­li­gen­ter Früh­ling lässt unter Druck blühen, am besten im Regen und bei Sturm. Die Dinge müssen sich ändern.

Rhythms Del Mun­do Feat. Keane / Under Pres­sur
Die Doraus und die Mari­nas / Tulpen und Narzis­sen
S.Y.P.H / Zurück zum Beton
Andreas Dorau / Wenn Du Men­schen triff­st
The Hid­den Orches­tra / The Wind­fall
Depeche Mode / The Sun & Rain­fall

Folge 6 der Geschmacksver­stärk­erei: Die Dinge